Kriegführung im Cyberspace
Editorial – Dietrich Meyer-Ebrecht
- Die Militarisierung des Cyperspace: Die Informatik ist gefordert! – Götz Neuneck und Thomas Reinhold
- Völkerrecht im Cyberraum: Das Tallinn-Handbuch und der Tallinn-2-Prozess – Wolff Heintschel von Heinegg
- Das Problem der Attributierung von Cyberangriffen und seine Folgen – Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft
- Aufrüstung im Cyberspace: Die ungleichen Ressourcen für staatliche Hacker und die zivile IT-Sicherheit – Ingo Ruhmann
- Cyberpeace: Menschenrechte in der digitalen Gesellschaft und friedliche Nutzung des Internet – Stefan Hügel
Editorial
Das Internet war einmal eine faszinierende neue Technologie. Es förderte die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft. Als private Nutzer.innen zunehmend Zugang erhielten, wurde seine globale Ausbreitung auch durch die schöne Hoffnung auf einen Beitrag zur Völkerverständigung und Friedensstiftung beflügelt. Dann sah die Wirtschaft ihre Chance: Das Internet wurde zum globalen Handelsplatz. Fertigungs- und Versorgungs- und Verwaltungsprozesse werden durch Vernetzung optimiert, Information wird immer und überall zugänglich. Heute ist das Internet ein backbone der Zivilgesellschaft, von dem lebenswichtige Prozesse abhängen, auf dessen ungestörtes Funktionieren wir uns in immer stärkerem Maße verlassen müssen. Und bei alledem ist ziemlich in Vergessenheit geraten, dass die technische Grundlage des Internets – die Vernetzung von Computersystemen weltweit – einmal in militärischem Auftrag angelegt wurde.
Nicht in Vergessenheit geraten ist dies bei den Militärs. Ganz im Gegenteil, network centered warfare war bereits 1996 die Kernbotschaft in einem Positionspapier des US-Generalstabs, der Joint Vision 2010. Gefordert wird eine umfassende Nutzung moderner Kommunikations- und Informationstechnologie in Waffen, in Waffensystemen und in den zu ihrem Einsatz notwendigen Infrastrukturen. Eine besondere Rolle kommt in der Doktrin der ‚Neuen Kriege’ dem Cyberspace zu, dem weltweiten virtuellen Verkehrsraum für digitale Daten aus Kabeln, Mobilfunk und vernetzten Computersystemen. Er ist geradezu prädestiniert für eine umfassende Ausspähung nahezu aller Lebensbereiche.
Nun haben die Enthüllungen Edward Snowdens – vor allem das nicht geahnte ungeheure Ausmaß der digitalen Ausspähung, das sie offenbarten – uns zunächst vornehmlich als Eingriff in unsere Privatsphäre betroffen gemacht. Die militärische Dimension wird jedoch kaum thematisiert, und auch die Risiken nicht, die aus ihr entspringen – für uns persönlich und für die Gesellschaft. Im Kontext der aktuellen Kriegsführungsdoktrin ist digitale Ausspähung bereits ein wesentliches Element des Cyberwarfare, des Informationskrieges. Sie dient dem Erkennen der Absichten des Gegners – oder auch des ‚Freundes’. Mit den für die Ausspähung angelegten geheimen Zugängen sind jedoch auch schon die Voraussetzung für aktive Eingriffe geschaffen, von ,harmlosen', aber spürbaren Eingriffen zur Demonstration der ,digitalen Muskeln' bis zu Sabotageakten durch die Übernahme der Kontrolle über kritische System.
Götz Neuneck und Thomas Reinhold geben einen Einblick in die militärische Aufrüstung im Cyberspace aus friedenspolitischer Sicht. Und sie stellen die Rolle heraus, die die Zivilgesellschaft darin spielt, insbesondere die Fachgemeinde der Informatik und Informationstechnik – unbeabsichtigt, unreflektiert. Denn in geradezu perfider Weise nutzen die Militärs hier eine Technologie, die unter der Motivation vielfältiger ziviler Einsatzmöglichkeiten entwickelt und durch einen ungebremsten Konsum boomhaft angetrieben wird, ein Paradebeispiel für eine Dual-use-Technologie – und ein Anstoß, das Verantwortungsbewusstsein der Technologiegemeinde einzufordern. Deren Wirken hat immerhin dazu geführt, dass wir uns heute sehr selbstverständlich im Informationsraum, im Cyberspace wie in einer Art fünftem Raum neben dem Land-, Luft-, See- und Weltraum bewegen, einem Raum ohne nationale, geografische, physische Grenzen. Das wirft gesellschaftspolitische Fragen auf, so die Frage nach einem Rechtsrahmen im Cyberspace, vor allem nach der Anwendbarkeit des Völkerrechts auf diesen Raum. Wolff Heintschel von Heinegg berichtet über die Initiative einer internationalen Expertengruppe im estnischen Tallinn, das internationale Völkerrecht auf seine Anwendbarkeit im Cyberspace zu prüfen. Das daraus hervorgegangene Tallinn Manual liefert eine erste Grundlage zur Orientierung, die im derzeit laufenden Tallinn-2-Prozess präzisiert wird.
Alle Rechtsinstrumente bleiben jedoch machtlos, solange eine zuverlässige Attributierung, also eine Zuordnung zum Urheber eines Eingriffs oder Angriffs auf Systeme im Cyberspace nahezu unmöglich ist. Dass die Urheber nicht verfolgt und haftbar gemacht werden können, ist per se ein Problem. Schwerwiegender aber sind vorschnelle fehlgerichtete Reaktionen, die einen Konflikt eskalieren lassen oder ihn erst heraufbeschwören. Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft beschreiben die raffinierten Vorgehensweisen der ,Angreifer', sogar in gut geschützte Systeme einzudringen und dabei ihre Spuren zu verdecken oder zu vernichten. (Ein aktuelles Beispiel ist der Einbruch in das Computernetz des Deutschen Bundestages und die bereits Wochen andauernde ergebnislose Suche nach der Quelle.) Ein Fortschritt, mit verbesserten technischen Schutzmaßnahmen oder gar mit Sicherheitsgesetzen entgegenzuwirken, ist praktisch nicht in Sicht, solange die Ressourcen für ,staatliche Hacker' die Investitionen in zivile IT-Sicherheit weit übertreffen. Ingo Ruhmann gibt in einer umfangreichen Studie ein ernüchterndes Bild dieses Ungleichgewichts.
Dass der Cyberspace ein abstrakter, selbst für Fachleute kaum durchschaubarer Raum ist, dass wir nicht wahrnehmen können, wie die geheimdienstlichen und militärischen Operationen in den zivilen Informationsströmen gleichsam mitschwimmen, macht die potentiellen Gefährdungen um so schwieriger vermittelbar. Der Cyberspace ist mehr denn je ein Faszinosum, heute weniger seine Technologie als sein schier unerschöpfliches Potential für Komfort und Entertainment. Statt eines kritischeren Umgangs mit der Technologie machen wir lieber vor ihren fundamentalen Risiken für die Zivilgesellschaft die Augen zu. Dabei ist dringend ein Gegenentwurf zur Militarisierung des Cyberspace geboten. Stefan Hügel entwickelt ein detailliertes Programm, wie die Menschenrechte auch in einer digitalen Gesellschaft zum Primat erhoben werden können und der Cyberspace einer ausschließlich friedlichen Nutzung vorbehalten werden kann. Es liefert die programmatische Grundlage für eine derzeit durchgeführte Kampagne des Forum Informatiker.innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, mit der den darin gestellten Forderungen politisches Gehör verschafft werden soll – ihre Formel heißt Cyberpeace …
Alle Beiträge in: Dossier 79, einer Beilage zu Wissenschaft und Frieden 3/2015 und FIfF-Kommunikation 3/2015